Positionen zur Kassenzusammenlegung

Eine nicht ganz unumstrittene Kassenfusion wird Realität. Der Ministerrat hat die geplante Reform beschlossen und bereits abgesegnet. Welche unterschiedlichen Meinungen gibt es nun dazu? Wie betrachten die jeweiligen Interessenvertretungen diese Strukturreform?
opta data hat für Sie recherchiert!

Wir werden im Anschluss die teils divergierenden Positionen kurz skizzieren, um einen Überblick über diesen kontroversen öffentlichen Diskurs zu ermöglichen.

 

Positionen zur Kassenzusammenlegung

 

Regierung
Die Regierung strebt Einsparungen in Höhe von 1 Mrd. € bis 2023 an!
Die Intention der Regierung ist, durch die Kassenzusammenlegung, ein agileres, effizienteres und entscheidungsfähigeres System zu schaffen, das mittel- bis langfristige Einsparungen zur Folge hat. Mit der Kassenfusion sollen in erster Linie Verwaltungskosten eingespart werden, wobei die Anzahl der Funktionäre ebenso drastisch reduziert wird wie die Selbstverwaltungsgremien. Statt 21 Generaldirektoren wird es künftig nur noch 5 geben. Die dadurch eingesparten Kosten sollen in weiterer Folge den Patienten zur Verfügung stehen. Regierungsseitig wird, als ganz wesentlicher Aspekt und oberstes Ziel der Kassenreform, die Leistungsharmonisierung der bis dato unterschiedlichen Kassenleistungen betont. Durch ein zentrales Verwaltungsorgan sollen auch die bundesländerspezifischen Leistungsunterschiede geebnet werden. Die Zusammenlegung der Kassen sieht vor, dass es künftig nur noch eine Satzung und einen Gesamtvertrag gibt.

Arbeiterkammer (AK)
Die AK sieht die Kassenfusion differenzierter. Für sie birgt die Zusammenlegung der Kassen gewisse Risiken. Die Unterschiede in den Kassenleistungen werden demnach nicht ausgemerzt, da weiterhin berufsgruppenspezifische Sozialversicherungsträger erhalten bleiben (ÖGK, BVAEB, SVB). Der überwiegende Anteil der Versicherten setzt sich aus rund 7,1 Millionen unselbständig Erwerbstätigen, die bei der Gebietskrankenkasse (künftig ÖGK) versichert sind, zusammen. Zur Zeit setzt sich die Selbstverwaltung der Gebietskrankenkassen (Vorstand und Generalversammlung) aus vier Fünftel Arbeitnehmervertretern und einem Fünftel Arbeitgebervertretern zusammen. Die Einbindung der Dienstgeber lässt sich in Bezug auf die Selbstverwaltung lediglich dadurch erklären, dass diese die Hälfte der Beiträge leisten (Dienstgeber-Beitrag), welche allerdings wiederum aus der Wertschöpfung durch die Dienstnehmer gewonnen werden. Prinzipiell ist nämlich kein Dienstgeber selbst bei der GKK versichert. Der neue Verwaltungsrat der ÖGK wird nun künftig paritätisch besetzt – 6 Arbeitgebervertreter und 6 Arbeitnehmervertreter. Die AK vermutet bei der Umstrukturierung das Bestreben, den Einflussbereich der Arbeitgeber (der Wirtschaft) zu stärken und die Arbeitnehmerseite tendenziell zu entmachten.

Wirtschaftskammer (WK)
Die Wirtschaftskammer begrüßt die deutlich schlankeren Strukturen der neuen Sozialversicherung, die zu mehr Effizienz für die Versicherten und einen wichtigen Schritt in Richtung Senkung der Lohnnebenkosten führen soll.

Gebietskrankenkassen (GKKs)
Die GKKs warnen vor einer eher schwerfälligen Zentrale in Wien, die für die einzelnen Länder Vorgaben trifft, ohne auf die regionalen Gegebenheiten und Strukturen einzugehen. Zusätzlich befürchten sie, ebenso wie die AK einerseits eine Beschneidung der Selbstverwaltung und weisen andererseits auf eine Gewichtsverlagerung zugunsten der Arbeitgeber hin. Grundsätzlich gelten die GKK´s als Versicherung der Dienstnehmer, sie werden aber künftig paritätisch selbstverwaltet. Durch den Mehranteil der Dienstnehmervertreter wurde vor der Kassenreform gewährleistet, dass die Gesundheitsversorgung von ihnen selbst mitgestaltet werden konnte.  Dieser Einfluss wird aber durch die künftige 6:6 Verwaltung eingeschränkt. Befürchtungen darüber, dass die Interessen der Arbeitgeber mehr Gewicht bekommen könnten und sich das in weiterer Folge in einer Einführung von Selbstbehalten ausdrücken könnte, werden laut. Die GKK´s hegen auch Bedenken gegenüber der allgemeinen Finanzierung der einzelnen Bundesländer GKK´s – der zukünftigen Länderstellen – da nach der Kassenfusion nur mehr die tatsächlichen Beitragseinkünfte durch Versicherte zur Verfügung stehen werden. Zusätzliche Einnahmen wie etwa durch Kostenbeteiligungen oder durch die regionale Vergabe von Bau- und Beschaffungsaufträgen an örtliche Unternehmen werden nach Wien abfließen. Dies kann sich im Endeffekt regionalwirtschaftlich auswirken und sich in Bezug auf freiwillige Leistungen der einzelnen GKK´s (z. B. Aufenthalte in Kurheimen) niederschlagen. Bei strukturellen Defiziten sind die Krankenkassen zudem per Gesetz (§31 Abs. 5a ASVG) verpflichtet, Selbstbehalte einzuführen.

Hauptverband
Das Argument der geplanten Leistungsharmonisierung ist für den Hauptverband nicht ganz zulässig, da es den GKK´s bereits vor der Kassenreform gelungen ist viele der unterschiedlichen Kassenleistungen zu harmonisieren. Tendenzielle Unterschiede bestehen beispielsweise noch bei den orthopädischen Schuheinlagen. Tendenziell positiv sieht der Hauptverband, dass die Sozialversicherung grundsätzlich selbstverwaltet bleibt, Beitragshoheit hat und auch die AUVA aufrecht bleibt. Zudem wird auch das Einlenken der Regierung bzgl. einer fixen Führungsstruktur des neuen Dachverbandes, anstelle des Rotationsprinzips, positiv bewertet.

Ärztekammer
Die österreichische Ärztekammer weist darauf hin, dass die Auswirkungen der Kassenzusammenlegung auf die Patienten zu rudimentär diskutiert wurden. Mit der demographischen Entwicklung geht einher, dass immer mehr Menschen betreuungsbedürftiger werden und auch die Anforderungen an die moderne Medizin wachsen. Die moderne Medizin wird immer besser, aber auch teurer. Es ist daher notwendig, die Kluft zwischen optimaler Patientenversorgung und immer eingeschränkterer Finanzmittel zu überbrücken. Die Ärztekammer betont zudem, dass die finanziellen Mittel im Zuge der Kassenreform nicht weniger, sondern vielmehr, entsprechend den neuen Bedürfnissen, mehr werden müssten. Die Ärztekammer verdeutlicht weiters, dass regionale Entscheidungskompetenzen erhalten bleiben sollten, damit die örtlichen Bedürfnisse fair abgedeckt werden können. Eine zentrale Steuerung wird daher eher kritisch betrachtet.

Gewerkschaft
Nicht ganz unkritisch bzgl. Kassenfusion äußert sich die Gewerkschaft der Privatangestellten. Sie befürchtet, dass die Regierung mehr Macht und Posten auf Seiten der Wirtschaft vorsieht und nicht ausschließlich auf das Wohl der Patienten bedacht ist. Es werden außerdem Bedenken hinsichtlich allgemeiner Selbstbehalte und etwaiger Leistungskürzungen für kranke Menschen geäußert. Zudem sieht die Gewerkschaft, durch die Machtverschiebung der Sozialversicherung zugunsten der Wirtschaft, Vorteile für die private Versicherungsindustrie.

Opposition (SPÖ, NEOS, eh. Liste Pilz: „Jetzt“)
Das zentrale Thema hinsichtlich der Kassenreform ist für die Opposition, die Parität von Dienstgebern und Dienstnehmern in den Verwaltungsgremien der neuen Sozialversicherungsträger, wodurch sich das Machtgefüge auf die Seite der Wirtschaft verschiebt. Es wird ein Zurückdrängen des solidarischen Systems befürchtet. Kritisch wird auch die kurze Zeitperiode (ca. 9 Monate), innerhalb der die Fusion der 9 GKK´s über die Bühne gehen soll, betrachtet. Ebenso für Diskussionsstoff sorgt die Fusion von Selbstständigen und Bauern zur SVS, da diese Träger ein unterschiedliches Beitrags- und Leistungsrecht haben. Ein weiteres Thema ist für die Opposition der neue, verschlankte Dachverband. Eine Schwächung des Dachverbandes führe zu einer Schwächung des Systems und zu einem Auseinanderdriften des Leistungsrechts zwischen Arbeitnehmern, Beamten und Selbstständigen. Seitens der Opposition wird eine Vorbereitung auf eine Privatisierung befürchtet.

Für die SPÖ stellt die Kassenfusion, speziell jene der Gebietskrankenkassen, einen deutlichen Eingriff auf die Selbstverwaltung der Länder-GKK´s dar. Künftig wird dem Sozialministerium die Möglichkeit gegeben, auf nahezu alle Entscheidungen der Kassen Einfluss nehmen zu können, was laut dem ehemaligen VfGH-Richter Rudolf Müller, ebenso wie die geplante Parität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Kassengremien, nicht verfassungskonform ist.

Facts, Figures und Fazit
Was sind die tatsächlichen Fakten bzgl. der Kassenreform?
Die Grundidee hinter der Kassenreform war, neben der Reduktion der Verwaltungskosten speziell eine Leistungsharmonisierung zwischen den jeweiligen Sozialversicherungsträgern zu erreichen. Es sollen also nicht nur die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch zwischen den jeweiligen Kassen geebnet werden. Trotz Fusion bleibt aber ein wesentlicher Unterschied erhalten, denn auch die neuen Sozialversicherungsträger sind noch in diverse Berufsgruppen aufgesplittet. Dies bedeutet, dass hier weiterhin unterschiedliche Leistungssysteme und Selbstbehalte zum Tragen kommen. Zudem bleibt auch die Selbstverwaltung der einzelnen Kassen erhalten, da auf regionale und strukturelle Unterschiede Rücksicht genommen werden muss. Die Fusion der 9 GKK´s zur ÖGK zieht als Folge keine unmittelbare finanzielle Vereinheitlichung der Leistungen nach sich, da von den 9 Länderstellen weiterhin Anpassungen und Sondervereinbarungen zu den Gesamtverträgen getroffen werden können. Außerdem bleiben die Krankenfürsorgeanstalten und 4 der bisherigen 5 Betriebskrankenkassen (in Form von betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen) aufrecht.

Eine weitere Intention der Regierung war, dass eine Fusion der Kassen deutliche Einsparungen bei der Verwaltung zur Folge haben sollte, speziell bei den Funktionären. Die Anzahl der Funktionäre wird von 2000 auf 480 reduziert. Hier kann festgehalten werden, dass sich die tatsächliche Anzahl von Funktionären auf rund 970 effektiv tätige Funktionäre beläuft. Bei den restlichen handelt es sich um Ersatzmitglieder). Die Funktionärstätigkeit ist tendenziell vielmehr eine ehrenamtliche. Die faktischen Kosten (Sitzungsgelder, Funktionsgebühren oder Reisekosten) belaufen sich auf ca. 1/10.000 der Gesamtaufwendungen (in absoluten Zahlen: ca. 5,67 Mio. €).

Große, tiefgreifende Veränderungen lassen vorerst auf sich warten. Auch die Befürchtung, dass es zu einem unmittelbaren Stellenabbau innerhalb der einzelnen Kassen kommen könnte, hat sich zerstreut – es findet eher eine natürliche Fluktuation statt, da in den nächsten 3 Jahren rund 10 Prozent des Personals durch Pensionierungen eingespart werden.

Tatsächliche Veränderungen gibt es in Bezug auf den Einflussbereich des ehemaligen Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, dem nunmehrigen Dachverband. Es wird die Spitze ausgetauscht und es kommt zu einer Reduktion der Kompetenzen. Die künftige Funktion des Dachverbandes wird eher eine koordinierende sein, da viele der bisherigen Aufgaben an die neue ÖGK übergehen (z. B. Verhandlungen mit der Pharmaindustrie über Medikamentenpreise oder der Abschluss eines Gesamtvertrages für die Ärztehonorare). Die Führung des Dachverbandes wird in Zukunft abwechselnd von den Obleuten der 5 neuen Sozialversicherungsträger übernommen. Dies könnte für Uneinigkeiten sorgen, da die Obleute der einzelnen Sozialversicherungsträger 1 halbes Jahr stellvertretend für eine unterschiedlich große Anzahl von Versicherten agieren (ÖGK Versicherte → rund 7,1 Mio.), deren Einflussbereich und deren Entscheidungen über diesen Zeitraum für alle gültig ist.

Ein Ziel der Regierung war, 1 Mrd. € bis 2023 einzusparen – ob und wie sich dies umsetzen lassen wird, wird sich in den nächsten Jahren erweisen. Ganz genaue Berechnungen und Kostenaufstellungen sind derzeit noch ausständig.

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Quellen:

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/966463_Regierung-besteht-auf-Einsparungsvolumen.html
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/989384_Weniger-Traeger-rotierende-Chefs.html
https://diepresse.com/home/innenpolitik/5545884/Hauptverbandschef-Biach-sieht-Verbesserungen-bei-Kassenreform
https://diepresse.com/home/innenpolitik/5449909/Kassen-harmonisieren-alle-Leistungen
https://diepresse.com/home/innenpolitik/5529913/Hearing-zur-Kassenreform_Experten-sagten-entlang-der-Parteilinien-aus
https://diepresse.com/home/innenpolitik/5533111/Kritik-an-Kassenreform_Keine-faire-Chance-fuer-Selbstverwaltung
https://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/innenpolitik/Rechnungshof-Vernichtende-Kritik-an-Fusion-der-Krankenkassen;art385,3038275
https://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/landespolitik/Krankenkassen-Fusion-Oberoesterreich-verliert-bis-zu-764-Millionen-Euro;art383,3036208
https://www.jusline.at/gesetz/asvg/paragraf/31
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181019_OTS0073/kassenfusion-aerztekammer-mahnt-patientenmilliarde-ein
https://derstandard.at/2000088523355/Wie-viel-die-Kassenfunktionaere-wirklich-kosten
https://www.vn.at/politik/2018/11/16/kosten-der-kassenfusion-laut-sozialressort-offen.vn

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