Seit der 2. Jahreshälfte 2023 ist Gewerkschafter und Dienstnehmer:innen-Vertreter Andreas Huss turnusmäßig wieder an der Spitze der ÖGK. Er folgt damit auch heuer erneut Dienstgeber:innen-Vertreter Matthias Krenn als Obmann und Vorsitzender des Verwaltungsrates der Gesundheitskasse. Auf seiner Agenda steht, die Interessen der Dienstnehmer:innen wieder verstärkt in den Vordergrund zu rücken und Lösungen zu entwickeln, die die finanziellen und strukturellen Herausforderungen, denen sich die ÖGK nach wie vor gegenübersieht, entschärfen.
Mit welchen Herausforderungen die ÖGK derzeit konkret konfrontiert ist, welche Ziele ÖGK-Obmann Huss seit Amtsantritt formuliert hat, um die Situation der ÖGK zu entspannen und eine solidarische Gesundheitsversorgung sicherzustellen bzw. ob diese Ziele realisierbar sind, erfahren Sie nachstehend.
Die österreichische Gesundheitskasse sieht sich nach wie vor mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die ihre Finanzierung und Effizienz beeinträchtigen. Faktisch geht dabei die Schere zwischen Finanzierung und dem Bedarf an Gesundheitsleistungen innerhalb der Bevölkerung immer weiter auseinander. Die derzeitig Gebarungsvorschaukalkulation zeigt, dass das mit € 350 Mio. prognostizierte Defizit der ÖGK für 2023 das vierte negative Jahresergebnis in Folge sein wird (von den rund € 1,4 Mrd. an Rücklagen, die die Gebietskrankenkassen 2019 eingebracht haben, sind inzwischen € 700 Mio. aufgebraucht, dabei sind allerdings rund die Hälfte nicht liquides Anlagevermögen). Die Gründe dafür sind vielfältig:
Eine der Hauptursachen für die finanziell herausfordernde Situation der ÖGK ist die Unterfinanzierung. Schon seit ihrem Start im Jahr 2020 ist die ÖGK von finanziellen Engpässen betroffen. So haben etwa der Abzug von Mitteln aus der Unfallversicherung, die höhere Finanzierung des Privatkrankenanstaltenfinanzierungsfonds (PRIKRAF) und die Reduzierung von Steuerrückerstattungen seitens des Staates zu einer finanziellen Schieflage geführt, wodurch der Gesundheitskasse in den ersten 5 Jahren € 700 Mio. fehlen.
Eine weitere Herausforderung stellen die rapide steigenden Fallzahlen im niedergelassenen Bereich dar, vor allem bedingt durch die kritische Personalsituation in Spitälern. Im niedergelassenen Bereich sind dadurch die Frequenzen deutlich angestiegen (2023: 8 – 10 % je nach Bundesland vs. 2022: 4 %), was zu einer höheren Belastung der verfügbaren Ressourcen und einem Mehraufwand seitens der ÖGK führte.
Die Kosten für Medikamente, insbesondere für teure Medikamente, steigen kontinuierlich an. Dieser Kostenanstieg übertrifft oft die Steigerung der Beitragseinnahmen und verschärft die finanzielle Situation der ÖGK zusätzlich.
Eine weitere Herausforderung für die ÖGK ist mangelnde Transparenz in Bezug auf die Verwendung jener finanziellen Mittel, die für die Finanzierung der Spitäler bereitstehen (jeder dritte Beitragseuro geht an Spitäler). Es ist nicht immer ersichtlich, welche Leistungen konkret finanziert werden, wie lange Ambulanzen geöffnet sind bzw. wie die Verteilung der Gelder erfolgt.
In den letzten Jahren hat sich ein Trend zur Verlagerung von Leistungen in Krankenhäusern (und teils auch in Ambulanzen) hin zur niedergelassenen Versorgung abgezeichnet. Dies führt dazu, dass die Kosten für ambulante Behandlungen steigen, während die Leistungen in den Krankenhäusern tendenziell abnehmen.
Die steigenden Kosten im Gesundheitssystem führen dazu, dass die Bevölkerung vermehrt von privaten Zuzahlungen für Gesundheitsleistungen betroffen ist (zusätzlich zu Steuern und Beiträgen zahlen Patient:innen aktuell rund 23 % der Gesundheitsleistungen privat). Dies hat Auswirkungen auf einen solidarischen Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Verändernde Rahmenbedingungen, eine steigende Lebenserwartung und die zunehmende Alterung der Bevölkerung führen zu einem erhöhten Bedarf an medizinischer Versorgung und Pflege. Dies stellt auch die Sozialversicherung vor zusätzliche finanzielle Herausforderungen.
Eine komplexe organisatorische Struktur der ÖGK und bürokratische Hürden im Gesundheitswesen können die Effizienz der Verwaltung beeinträchtigen. Dies kann zu Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung und Umsetzung von geplanten Maßnahmen führen.
Diese Herausforderungen verdeutlichen, dass die finanzielle und organisatorische Situation der Österreichischen Gesundheitskasse vielschichtig ist und eine umfassende Überarbeitung des Systems erfordert, um eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Der aktuelle ÖGK-Obmann formuliert daher Ziele, diese Herausforderungen anzugehen und das Gesundheitssystem in Österreich zu verbessern und schlägt dabei Maßnahmen vor, wie diese Ziele erreicht werden können.
Um das österreichische Gesundheitssystem zu verbessern und eine leistbare, solidarische und flächendeckende Gesundheitsversorgung sicherzustellen bzw. diese zu optimieren, hat Andreas Huss mit erneutem Antritt seiner Rolle als ÖGK-Obmann eine Reihe konkreter Ziele formuliert. Diese Ziele spiegeln dabei die Herausforderungen und Chancen wider, die im Gesundheitswesen bestehen. Die wichtigsten Ziele im Überblick:
ÖGK-Obmann Huss betont, die Interessen der Dienstnehmer:innen wieder verstärkt in den Vordergrund rücken zu wollen. Dies beinhaltet eine bessere Vertretung der Dienstnehmer:innenbelange und eine zielgerichtete Ausrichtung im Hinblick auf die Bedürfnisse der Beschäftigten.
Die ÖGK plant, den Finanzausgleich als Instrument zu nutzen, um Verbesserungen im Gesundheitssystem zu erreichen. Durch gezielte Investitionen und Ressourcenallokation soll eine bestmögliche Vernetzung von Spitalsambulanzen mit der niedergelassenen Versorgung und anderen Gesundheitsberufen erreicht werden.
Exkurs: Worum handelt es sich eigentlich beim Finanzausgleich?
Der Finanzausgleich reguliert die finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Bundesländern und Gemeinden. Über den Finanzausgleich werden die Erträge aus bestimmten Abgaben, die vom Bund eingehoben werden, zwischen Bund, Bundesländern und Gemeinden aufgeteilt. Die Verhandlungen um den Finanzausgleich finden alle 4 bis 6 Jahre statt. Anfang Oktober dieses Jahres wurden die Verhandlungen zum aktuellen Finanzausgleich abgeschlossen und der finanzielle Rahmen fixiert. Ab 2024 stellt der Bund demnach den Ländern und Gemeinden insgesamt 2,4 Mrd. Euro (davon 1,1 Mrd. Euro für Kinderbetreuung, Wohnen, Klima und Umwelt) jährlich zur Verfügung, um Reformen voranzutreiben und Ziele umzusetzen.
Eine weitere wichtige Zielsetzung der ÖGK ist die Neugestaltung der Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem. Dies beinhaltet den Ausbau von Primärversorgungseinrichtungen (PVE), um eine bessere Erreichbarkeit und Versorgungssicherheit für die Bevölkerung sicherzustellen (bis 2025 sollen die PVE von 40 auf 120 Einheiten erweitert werden).
Aufgrund steigender Frequenzen im niedergelassenen Bereich sollen zusätzliche Kassenplanstellen in leistungsstarken ambulanten Strukturen geschaffen werden. Dies dient der Entlastung der Spitäler und einer effizienteren Patient:innenversorgung. Angestrebt sind rund 500 neue Kassenstellen, vorrangig in Primärversorgungszentren und Facharztambulanzen.
Um eine qualitativ hochwertige Versorgung in ganz Österreich sicherzustellen, wird die Einführung eines österreichweit einheitlichen Leistungskatalogs angestrebt. Dies würde vergleichbare Rahmenbedingungen für alle Versicherten sicherstellen, bisherige Spitalsleistungen in die niedergelassene Versorgung aufnehmen und für einen österreichweit einheitlichen Versorgungsauftrag im niedergelassenen Bereich sorgen.
ÖGK-Obmann Huss betont die Aufgeschlossenheit der Sozialversicherung gegenüber innovativen Versorgungsformen. Dazu gehören unter anderem selbstständige Ambulatorien, Gesundheitszentren und intensive Kooperationen mit Spitälern. Besonders der niederschwellige Zugang für Personen mit psychischen Erkrankungen steht dabei im Fokus.
Eine verstärkte Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe auf Augenhöhe ist ein weiteres Ziel. Hierbei sollen Ärzt:innen, Pflegekräfte, Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen und weitere Expert:innen eng kooperieren, um eine umfassende Patient:innenversorgung sicherzustellen.
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich bietet Chancen zur Verbesserung der Versorgung und Erreichbarkeit der Patient:innen. Die ÖGK plant, diese digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um die Versorgung effektiver und patient:innenenorientierter zu gestalten.
In Kooperation mit den Zielsteuerungspartnern soll ein öffentliches Impfprogramm für Erwachsene gestartet werden. Dieses Programm soll schrittweise ausgebaut und in Arztpraxen sowie Betrieben umgesetzt werden und eine niederschwellige Präventionsleistung für die Bevölkerung darstellen, um die Impfraten zu erhöhen.
Eine zentrale Aufgabe ist die Entlastung der Spitäler durch den Ausbau der ambulanten Versorgung und die Schaffung effizienter Ambulanzen. Dies soll zu einer besseren Verteilung der Patient:innenströme führen und die Kapazitäten der Krankenhäuser entlasten.
Diese ambitionierten Ziele verdeutlichen, dass die ÖGK eine umfassende Reformagenda verfolgt, um unser Gesundheitssystem zu modernisieren und die Versorgungsqualität zu erhöhen. Die Umsetzung dieser Ziele erfordert jedoch nicht nur eine klare strategische Ausrichtung, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit den verschiedensten Akteur:innen im Gesundheitswesen und tatkräftige politische Unterstützung.
Zur Halbzeit seiner aktuellen ÖGK-Obmannschaft zieht ÖGK-Obmann Huss eine Zwischenbilanz und äußert sich vor allem kritisch hinsichtlich der Verteilung der Mittel aus dem Finanzausgleich. Um die Ziele, wie etwa die finanzielle Gesundung der ÖGK, die Entlastung der Spitalsambulanzen und den Ausbau des niedergelassenen Bereichs (500 zusätzliche Kassenstellen), umzusetzen, benötigt die Sozialversicherung rund 800 Mio. Euro/Jahr an Steuermitteln aus dem Finanzausgleich. Im Rahmen der Verhandlungen über den Finanzausgleich zwischen dem Finanzminister und den Ländern wurde Anfang Oktober 2023 jedoch beschlossen, den Ausbau von Spitalsambulanzen mit mehr als 450 Mio. Euro zu finanzieren und dem niedergelassenen, wohnortnahen Bereich netto 233 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen, was den ursprünglichen Zielen der ÖGK diametral gegenübersteht.
Um die Herausforderungen in der heimischen Gesundheitsversorgung zu bewältigen und die von der ÖGK angestrebten Ziele umzusetzen, wird es notwendig werden, Mittel außerhalb des Finanzausgleichs zu lukrieren. ÖGK-Obmann hebt dabei kritisch hervor, dass die Finanzierungsverantwortung künftig vermehrt auf die Bevölkerung übertragen (etwa für Wahlärzt:innen, Zahnbehandlungen, private Krankenversicherungen, Medikamente etc.) und die Krise im Gesundheitssystem prolongiert wird, anstatt Reformen aktiv voranzutreiben.
Sie möchten gerne mehr über die ÖGK oder aktuelle Trends und Entwicklungen im heimischen Gesundheitswesen erfahren und keine Neuigkeiten verpassen? Besuchen Sie uns doch ganz einfach regelmäßig auf unserer Website bzw. in unserem opta data Journal. Um immer top informiert zu sein, können Sie sich auch sehr gerne direkt bei unserem Newsletter anmelden.
Hier geht’s zur Newsletter Anmeldung:
Das könnte Sie auch interessieren:
Neue Vereinbarung für die Krankenbeförderung in der Steiermark
Die neue Vereinbarung ist mit Juni 2023 in Kraft getreten und stellt…
Mehr als eine Dekade ELGA - eine Bilanz
Die elektronische Gesundheitsakte ELGA ist seit über einem Jahrzehnt im Einsatz. Welche…
Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft: opta data schließt sich dem Klimabündnis an!
opta data ist seit dem 10. August 2023 Partnerbetrieb im Klimabündnis-Netzwerk.